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Erste Fahrradtouren - 1963

Tour Ostfriesland - Tour (266 km) (Abb. © ul 2015-01-20)

Inzwischen sind wir im Jahr 1963 angelangt. Seit der Weserberglandtour 1961 war ich so oft wie möglich mit dem Fahrrad unterwegs und habe dabei eifrig meinen räumlichen Horizont erweitert. Leider sind wir zwischenzeitlich nicht mehr zu größeren Touren aufgebrochen. Das sollte sich jedoch im Jahr 1963 ändern.

Von Celle nach Ostfriesland

Mein Freund Johannes und ich haben bereits 1962 wunderschöne Sommerferien auf dem Bauernhof der Familie Becker in Groß-Holum verbracht. Daher haben wir große Lust, noch einmal in den Ferien dorthin zu verreisen. Im Jahr zuvor haben uns Johannes Eltern mit dem Auto dorthin gebracht. Doch das soll in diesem Jahr ganz anders werden. Wir wollen den Weg unbedingt aus eigener Kraft schaffen. Verkehrsmittel der Wahl: Ganz klar unsere Fahrräder. 9,- DM für die Übernachtung mit Vollpension sind ebenfalls zu verkraften. Die Eltern erklären sich schließlich auch einverstanden. Was könnte unserem 'Abenteuer' dann noch im Weg stehen?

Also haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir am besten fahren. An ausgeschilderte Radrouten war im Traum nicht zu denken. Radwege an Überlandstraßen waren ebenfalls Mangelware. Genaues Kartenmaterial kannten wir auch nicht. Es gab wohl topographische Karten. Die waren uns aber zu teuer. Außerdem musste man die auch lesen können. So fällt die Wahl wieder auf die Shell-Autokarten für 0,50 DM pro Stück. Die zeigen zwar nur die größeren Straßen. Wir meinen aber, dass uns das genügen müsste. Der Verkehr hält sich zu der Zeit noch in Grenzen, so dass man mit dem Fahrrad sogar Bundesstraßen benutzen kann. Übernachten wollen wir in Jugendherbergen.

Von Celle bis Schwarmstedt wollen wir Nebenstraßen folgen, dann der Einfachheit halber die B214 nehmen, die immer westwärts über Nienburg verläuft. Ihr wollen wir erst einmal bis Borstel folgen. Dort soll es eine Jugendherberge geben, in der wir die erste Nacht verbringen wollen. Nächstes Zwischenziel von Borstel aus soll Sulingen sein. Dort wollen wir rechts abbiegen auf die B61 Richtung Bassum, von dort über Wildeshausen schräg rüber nach Oldenburg und weiter bis Rastede. Die kleine Residenzstadt ist als zweiter Übernachtungsort eingeplant. Von Rastede soll uns der Weg über Varel, Wittmund und Esens nach Groß-Holum führen. Drei Tage scheinen uns ausreichend für 260 Kilometer. So weit der Plan. Dass dann nicht alles ganz so gekommen ist, wie wir uns das vorgestellt haben, steht auf einem anderen Blatt. Aber fangen wir erst einmal an.

Celle - Sulingen (Gaue) - 93 km

Bereits am Abend vorher absolviere ich eine erste Testfahrt auf dem Weg zu meinem Freund Johannes, bei dem ich die Nacht verbringe. So können wir morgens sofort gemeinsam losradeln. Darum bepacken wir die Räder auch schon abends. Wie und worin wir unsere Klamotten verstaut haben, weiß ich nicht mehr. Packtaschen, wie wir sie heute kennen, gab es nicht. Außerdem hätten wir sie uns nicht leisten können.

Wir starten früh. Das Wetter spielt mit. Wind aus Südost verspricht eine flotte Fahrt mit viel Sonnenschein. Damals surften noch keine Tiefs mit dem Südostwind über Deutschland. Die Allerbrücke lassen wir links liegen, verlassen Celle lieber nördlich der Aller über die Bremer Straße. Hinter Boye beginnt Neuland, das zuerst einmal mit viel Wald aufwartet. Er begleitet uns mit Unterbrechungen bis kurz vor Schwarmstedt, nur ab und zu von dem rotbraunen Fachwerk der Heidedörfer unterbrochen. Hinter dem Flecken Winsen, damals noch mit Amtsgericht wesentlich bedeutender als heute, bieten sich nun immer häufiger Ausblicke auf das Allertal. Bei Schwarmstedt vereinen sich Aller- und Leinetal. Das Land wird offener, bis wir nach vielen Kilometern durch Niederungsgebiete in Wendenborstel wieder auf den Geestrücken zwischen Leine- und Weserniederung stoßen. Nach der Einöde nimmt uns hinter Steimbke der Kräher Wald auf, der sich von hier bis kurz vor Nienburg erstreckt. Er bietet endlich wieder mehr Abwechslung und vor allem Abkühlung. In Nienburg gönnen wir uns eine längere Pause am hohen Ufer der Weser, bevor wir die, wie wir meinen, letzten 17 Kilometer bis zu unserem ersten Nachtquartier in Borstel unter die Räder nehmen. Eine Umgehungsstraße gab es damals nicht. Der ganze Verkehr zwängt sich über die einzige Weserquerung im Zentrum der Stadt, eine Nachkriegs-Kastenbrücke. Zum Glück hält er sich in Grenzen. Die Weserniederung ist flott durchradelt. Aber dann geht es ab Lemke hinauf auf den Geestrücken links der Weser, der hier bis zu einer Höhe von fast 80 Meter aufragt. Für uns bedeutet das: Wir müssen auf 5 Kilometer Strecke einen Höhenunterschied von fast 60 Metern überwinden, eine echte Herausforderung damals für zwei Flachland-Verwöhnte. Die nächsten 10 Kilometer geht es mit leichtem Gefälle und Rückenwind schnurgerade bis Borstel.

Wir freuen uns schon auf ein schönes Abendessen und ein warmes Bett in der Jugendherberge. Doch die ist nicht zu finden. Nachfragen hilft nichts: "Die sei schon seit langer Zeit geschlossen", bekommen wir zu hören. Die Macher unserer Shell-Karte haben uns einen bösen Streich gespielt, als sie das Symbol auf der Karte belassen haben. Wir kommen uns schon ein bißchen verloren vor. Aber was bleibt uns übrig: Wir müssen eben einfach weiter fahren in der Hoffnung, unterwegs etwas zu finden. Die Gegend hinter Borstel ist so eintönig wie davor. Als wir uns der 90-Kilometer-Marke nähern, haben wir unser Limit erreicht. Wir müssen jetzt irgendwo unterkommen. Kurz darauf kommt vor uns rechter Hand ein Gasthof in Sicht. Da wollen wir fragen. Gesagt, getan, hinein in die Gaststube. Erst ist niemand zu sehen. Doch dann hören wir jemanden kommen. Eine jüngere Frau kommt herein und wundert sich: "Wo kommt ihr denn her?" Aufgeregt und erschöpft berichten wir von unserer langen Fahrt und der Enttäuschung in Borstel. "Na, da hätte ich was für euch. Habt ihr schon mal im Heu geschlafen?" Nein, hätten wir nicht, und sind nun ganz gespannt. "Na, dann kommt mal mit. Das könnt ihr hier nun mal ausprobieren." Draußen schnappen wir unsere Räder und folgen der Frau zu einer Scheune hinter dem Haus. Drinnen ist es für eine Scheune relativ sauber und aufgeräumt. Wir bekommen ein Lager auf dem Heuboden. Dort richten wir uns gemütlich ein und sind, nachdem wir unseren restlichen Reiseproviant vernichtet haben, - Zähneputzen, was ist das? - auch bald eingeschlafen.

Celle-Borstel (Gaue)
Unsere erste Übernachtung an der B214 bereits kurz vor Sulingen

Wahrscheinlich war es das Gasthaus "Zur Erholung" vor Sulingen (Fritz Buschhorn, Gaue 4). Es scheint inzwischen geschlossen zu sein. Nur noch eine gleichnamige Bushaltestelle erinnert daran. Gegenüber (Gaue 7) wohnt heute Heinz Buschhorn (Sohn?).

Celle-Borstel (Gaue)
Postkarte des Gasthauses Buschhorn. Man warb mit Brathähnchen und Klubzimmer

Sulingen - Rastede - 96 km

Der nächste Morgen bringt uns eine schöne Überraschung. Nachdem wir gut geschlafen haben in unserem Heubett, erwartet uns die Wirtin mit einem Frühstück, bei dem es an nichts fehlt. "Wir bräuchten dafür nichts zu bezahlen", meint sie lächelnd. Wir fühlen uns wie im siebten Himmel und sind natürlich froh, unsere knappe Reisekasse nicht strapazieren zu müssen und so nett bewirtet zu werden. Umgehend machen wir uns daran, alles was da aufgetischt ist, verschwinden zu lassen.

So gut gestärkt und ausgeruht sollte die nächste Etappe nach Rastede kein Problem sein. Fröhlich verabschieden wir uns von unserer Wirtin, sagen ihr noch Danke für alles und schwingen uns wieder auf unsere bepackten Räder.

Nach kurzer Zeit erreichen wir Sulingen und seinen damals noch vielgleisigen Bahnhof. Den lassen wir aber rechts liegen und rollen weiter geradeaus ins Zentrum. Dort ziehen wir erst einmal die Karte zu Rate. Aha, rechts ab geht es weiter, auf der B61 nach Norden, die damals noch mitten durch den Ort führte. Sie uns soll uns zunächst einmal nach Bassum leiten. Also weiter.

Dass uns die Fahrt damals nicht langweilig geworden ist, kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen. Es geht lange Strecken immer geradeaus. Wenig Abwechslung, ein paar Gehöfte, weite Ackerflächen, kaum Wald: So sieht unsere Strecke seit Nienburg meistens aus. Das ändert sich erst wieder, als wir auf Bassum zu rollen. Die Landschaft wird hügeliger, erscheint fast bergig für uns, die wir Flachland gewohnt sind. Doch erst einmal geht es bergab in Bassums Mitte. Hier legen wir an der Bremer Straße vor dem Rathaus eine Pause ein, zehren noch einmal von dem Frühstück, da wir uns auch ein paar Brote einpacken durften.

Bassum   Bassum

Nachdem alles wieder verstaut ist, fragen wir uns, wie wir wieder aus dem Straßengewirr heraus kommen. Unsere Shell-Karte erweist sich innerorts als wenig hilfreich. Auf jeden Fall müssen wir nach Harpstedt. Wir verlassen nämlich endlich mal für eine Weile die Bundesstraßen. Also fragen wir nach der Harpstedter Straße. Wir sollten man zurück fahren auf der Bremer Straße bis "Am Damm", dort rechts abbiegen, die Freudenburg (!) immer links liegend dem Straßenverlauf folgen. Dann kämen wir schon automatisch auf die Straße nach Harpstedt. "Da habt ihr Euch aber was vorgenommen. Alle Achtung! Dann man eine gute Fahrt noch und Rahmen- und Speichenbruch!", so lautete der Wunsch zum Abschied. Dass es aber bald eine ganze Weile ordentlich bergvia HERMESauf gehen sollte, das hat uns der nette Bassumer verschwiegen.

So bleibt der erste Gang erst einmal unser bester Freund. Trotzdem sind wir froh, als wir die Höhen der Geest endlich erklommen haben. Zum Glück ist Sommerwetter und der Wind erweist sich als angenehme Schiebehilfe, bläst er doch weiterhin mal mehr, mal weniger aus Ost bis Südost.

Es geht jedoch weiter im steten Auf und Ab. So lernen wir die Eigenarten der Geestlandschaft aus eigener Erfahrung gründlich kennen. Der nächste größere Ort ist Harpstedt. Der Flecken mit Amtsgerichtsbarkeit empfängt uns mit holperigem Kopfsteinpflaster, das sich durch den ganzen Ort zieht. Die hier zu einem großen Mühlenweiher aufgestaute Delme bietet mit den umgebenden Grünanlagen einen schönen Anblick und gute Gelegenheit für eine kleine Rast. Doch lange halten wir uns nicht auf. Wie immer bei den größeren Orten liegt eben auch dieser in einer Senke am Wasser: Wasserkraftnutzung und die Querung des Gewässers waren in früheren Jahrhunderten eine einträgliche Einnahmequelle. Für uns bedeutet das jedes Mal, wieder die Höhe zu erklimmen.

Rastede
Tagesziel ist die Jugendherberge in Rastede.

Die damalige Jugendherberge befand sich hinter dem Freibad. Heute findet man weder vor Ort noch im Internet Spuren von ihr. Das Foto zeigt das Freibad in den 60er Jahren.
Damals war richtig viel Leben, als wir in der Jugendherberge ankommen. Das Haus ist voll mit Jugendlichen, die wie wir auf dem Weg zur Küste und vielleicht zu den Inseln sind. Jedenfalls treffen wir später bei unserer Überfahrt nach Spiekeroog ebenfalls auf viele Jugendliche, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sind und auf der Insel zelten wollen. Ich komme mir in dem ganzen Trubel etwas verloren und noch ziemlich klein vor. Ich glaube, meinem Freund geht es nicht viel anders.

Am nächsten Morgen starten wir nach dem Frühstück - die Herbergsmutter wacht darüber, dass auch ja keiner ein Brot als Reiseproviant einsteckt - zu unserer letzten Etappe.

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Rastede - Groß-Holum - 79 km

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Warum wir den großen Bogen über Esens geradelt sind, kann ich mir heute nicht mehr erklären, vielleicht, weil Johannes Eltern immer diesen Weg mit dem Auto gefahren sind. Wir wären jedenfalls schneller auf der Kreisstraße nach Werdum am Ziel gewesen.


Karten:
  • Shell Autokarte : Blatt 1 - Nord-Deutschland (0,50 DM)*
    Der ganze Satz bestand aus 4 Karten = ganz Deutschland** für 2 DM.
    *   Diese Karten gibt es nicht mehr.
    ** Gemeint ist die Bundesrepublik. Es gab ja noch zwei deutsche Staaten.

Shell Autokarte 1 - Nord-Deutschland   ADAC Länderkarte
Die Shell-Karte kostete damals 0,50 DM. Shell bietet seit 2006 allerdings keine Karten mehr an.
Die vergleichbare ADAC-Länderkarte 1:500.000 kostet heute das 40-fache = 9,99 EUR !

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